Der Start in die Selbstständigkeit

Ein Gespräch mit Startup-Gründer Carlos Chacón

Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung können der Ausgangspunkt sein, um ein Unternehmen zu gründen. Carlos Chacón hat am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns an Haarstammzellen geforscht und entwickelt jetzt mit seinem eigenen Unternehmen eine innovative Lösung gegen Haarausfall. Wir haben mit ihm über seinen Weg in die Selbstständigkeit gesprochen.

Wie war der Start deines eigenen Unternehmens?

Ich habe mein Unternehmen "Mane Biotech" im April 2019 gegründet. Zuerst habe ich ein Accelerator-Programm namens "Entrepreneur first"  durchlaufen. Es ist in Berlin angesiedelt, also bin ich für drei Monate dorthin gezogen. Sie bringen talentierte Leute aus verschiedenen Bereichen zusammen. Du machst eine Art Speed-Dating, um Leute zu finden, die eine ähnliche Vision haben und ergänzende Fähigkeiten mitbringen. Mit dem neu gebildeten Team durchläufst du einen Auswahlprozess. Am Ende waren die Investoren davon überzeugt, dass das Unternehmen das Potenzial hat, in großem Maßstab erfolgreich zu sein, und haben uns im Gegenzug für 10 % Eigenkapital eine Anschubfinanzierung gewährt.

Warum wolltet ihr überhaupt ein Unternehmen gründen? Wie kam es zu der Idee?

Ich habe in Kolumbien Biotechnologie studiert und hatte schon immer die Idee, etwas "Angewandtes" mit Biologie zu machen. Während meiner Forschung an Haarstammzellen als Postdoc in Sara Wickströms Gruppe am MPI für Biologie des Alterns wurde mir klar, dass es offensichtliche Probleme gibt, für die es noch keine Lösungen gibt, wie z. B. die Wundheilung oder Haarausfall. Also dachte ich, dass diese Stammzellen genutzt werden könnten, um diese Probleme zu lösen. Natürlich hatte ich das Glück, an etwas zu forschen, das ein großes Anwendungspotenzial hat.

Wie hast du dein Geschäftsmodell entwickelt? Hast du am Anfang einen Businessplan geschrieben?

Man braucht keinen klassischen Geschäftsplan zu schreiben. Tatsächlich habe ich nie einen geschrieben. Natürlich muss man eine detaillierte Analyse machen und sich Gedanken machen: Was ist das Problem? Was ist die Lösung? Was ist der Markt? Was ist der Wettbewerbsvorteil? Ist mein Team geeignet, das Problem zu lösen? Das Wichtigste ist zu fragen: Löst meine Idee ein Problem, für das die Menschen bereit sind zu zahlen? Dann habe ich meine Idee täglich mit allen möglichen Leuten und vor allem mit Kunden hinterfragt, um herauszufinden, ob sie eine gute Geschäftsidee ist oder nicht.

Was macht dein Unternehmen? Was ist das Produkt?

Unser Produkt hilft gegen Haarausfall. Es ist eine Art Wearable, das du täglich zu Hause benutzen solltest. Es reaktiviert das physiologische Haarwachstum. Wenn du Haare verlierst, werden die Stammzellen durch Hormone inaktiviert. Wir können diese Stammzellen stimulieren, damit sie wieder Haare wachsen lassen. Zuerst stoppt der Haarausfall, und dann wachsen die Haare mit der Zeit wieder nach. Und wir wissen, dass es funktioniert!

Wie hast du dir das Wissen angeeignet, das du als Unternehmer brauchst?

Es ist ein ständiger Lernprozess. Wir entwickeln ein echtes Produkt, und es gibt eine Menge komplexer Prozesse und Vorschriften, mit denen man umgehen muss. Wir stehen noch ganz am Anfang und haben noch nichts verkauft. Ich freue mich sehr, dass wir kürzlich eine Risikokapitalfinanzierung erhalten haben, um unser Produkt auf den Markt zu bringen. Ich habe einen Mitgründer mit kaufmännischem Hintergrund und einen zweiten Mitgründer mit Ingenieurausbildung. Außerdem habe ich auf Veranstaltungen und in Co-Working Spaces Kontakte geknüpft; dort kann man immer jemanden um Rat fragen, z. B. ob jemand einen Anwalt oder Anwältin kennt oder jemanden, der eine Website gestalten kann usw.

Was gefällt dir am meisten an deiner Selbstständigkeit?

Ich mag es, unabhängig zu sein und mein eigener Chef zu sein. Ich kann die Prioritäten setzen und mein eigenes Geschäft gestalten. Außerdem bin ich sehr flexibel, was meine Arbeitszeiten angeht. Und es reizt mich, mein Unternehmen wachsen zu sehen. Ich habe das Gefühl, dass ich einen direkten Einfluss auf das Leben anderer Menschen habe und helfen kann, ein echtes Problem zu lösen.

Und was ist für dich die größte Herausforderung dabei?

Die Herausforderung besteht darin, dass man viel Motivation, Durchhaltevermögen und Ausdauer braucht. Ein Startup zu gründen ist wie eine Achterbahnfahrt. Du hast niemanden, der dir sagt, was du tun sollst. Ich musste mein eigenes Geld investieren. Das ist riskant. Aber selbst wenn es nicht so läuft, wie ich es mir wünsche, habe ich die Genugtuung, dass ich meine Träume verfolgt habe und auf dem Weg dorthin viel gelernt habe.

Vermisst du die Forschung?

Da habe ich sehr gemischte Gefühle. Ich glaube nicht, dass ich jemals dazu bestimmt war, eine Gruppe zu leiten, und das war auch nie mein Ziel. Was ich vermisse, sind die tiefgründigen Gespräche über Wissenschaft. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind so gleichgesinnt, dass man wirklich viel diskutieren und Spaß dabei haben kann. In der Geschäftswelt ist es ein bisschen umgekehrt: Je weniger Details du sagst, desto besser. Ich habe die Atmosphäre in Wissenschaft und Forschung immer als sehr angenehm empfunden.

Glaubst du, dass es notwendig ist, fließend Deutsch zu sprechen, um in Deutschland ein Unternehmen zu gründen?

Ich spreche Deutsch, aber auf beruflicher Ebene halte ich es nicht für gut genug. Ich spreche Englisch mit Investor:innen und das ist kein Problem. Wenn du gut Deutsch sprichst, ist es trotzdem viel besser, weil sich deutschsprachige Investor:innen wohler fühlen. Ich glaube, die persönlichen Beziehungen sind dann besser.

Was ist dein Rat an Unternehmer:innen?

Träume groß und mache einen Plan, um deine Träume zu verwirklichen; dann führe den Plan aus! Nimm auch an Veranstaltungen teil, bei denen du andere Gründer:innen oder angehende Gründer:innen treffen kannst. Es ist wichtig, mit Leuten zu sprechen, die bereits ein Unternehmen gegründet haben, um von ihren Erfahrungen zu lernen. Und es ist sehr nützlich, ein Netzwerk zu haben. Ich habe zum Beispiel auf einer solchen Veranstaltung von einem Co-Working-Space erfahren, was für mich sehr hilfreich war.

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