Lernen von Legionellen

Ein neu entdeckter Ubiquitinierungs-Mechanismus erklärt pathogene Effekte von Bakterien. Er könnte auch an vielen anderen biologischen Prozessen beteiligt sein.

Die Markierung mit dem kleinen Molekül Ubiquitin galt lange als "Todeskuss", durch den nicht mehr benötigte Proteine in der Zelle entsorgt werden. Doch inzwischen weiß man, dass Ubiquitin noch viele weitere Aufgaben in der zellulären Signalverarbeitung erfüllt. Ein Forscherteam unter Leitung von Prof. Ivan Dikic, Direktor des Instituts für Biochemie II an der Goethe-Universität Frankfurt, hat nun in Zusammenarbeit mit Dr. Ivan Matic, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, einen neuartigen Mechanismus zur Ubiquitinierung aufgeklärt, mit dem Legionellen die Steuerung ihrer Wirtszellen übernehmen können. 

Nach der bisher gängigen Lehrmeinung erfordert die Anheftung von Ubiquitin an andere Proteine die konzertierte Aktion von drei Enzymen. Im April dieses Jahres beschrieben amerikanische Forscher erstmals eine Form der Ubiquitinierung, an der nur ein einziges Enzym aus Legionellen beteiligt ist. Das Team von Ivan Dikic hat nun gemeinsam mit der Gruppe von Ivan Matic (Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, Köln) den zugrundeliegenden molekularen Mechanismus aufgeklärt.

Verblüffend ist die bisher unbekannte Art der chemischen Verknüpfung von Ubiquitin mit Proteinen, die das Enzym aus den Legionellen herstellt. Für die Fachwelt ist das eine bahnbrechende Entdeckung. Dr. Sagar Bhogaraju, Wissenschaftler im Labor von Dikic, kommentiert: "Spannend ist nun vor allem die Frage, ob diese neuartige Ubiquitinierung auch unabhängig von bakteriellen Infektionen in menschlichen Zellen vorkommt und ob es ähnliche, bislang unentdeckte Enzyme beim Menschen gibt, die womöglich weitreichenden Einfluss auf zelluläre Prozesse haben."

Bei der detaillierten Untersuchung des neuen Mechanismus wurden die Forscher erneut überrascht: Das Legionellen-Enzym katalysiert nicht nur die Ubiquitinierung zellulärer Proteine, es verändert außerdem alle weiteren vorhandenen Ubiquitin-Moleküle. Bei Infektionen mit Legionellen spielt diese modifizierte Form von Ubiquitin vermutlich eine wichtige Rolle, da sie das klassische Ubiquitin-System weitgehend hemmt.

Neben der "Abfallwirtschaft" funktionieren dann auch weitere wichtige Prozesse in der Zelle nicht mehr, was für das Bakterium von entscheidendem Vorteil sein kann. So konnte das Team von Ivan Dikic zeigen, dass das modifizierte Ubiquitin die Entsorgung von Mitochondrien (Mitophagie) ebenso lahmlegt wie die Weiterleitung von Entzündungssignalen und den Abbau von Proteinen. Auf diese Weise könnten Legionellen fundamental in zelluläre Prozesse ihres Wirts eingreifen.

"Wir gehen davon aus, dass Legionellen nicht die einzigen Bakterien sind, die sich diesen Mechanismus zunutze machen. Hier könnten sich neue Strategien für die Entwicklung antibakterieller Agenzien ergeben, die komplementär zu konventionellen Antibiotika wirken und die zellulären Schäden durch bakterielle Enzyme begrenzen", erklärt Dikic die medizinische Bedeutung der Entdeckung.

Thomas Colby aus der Forschungsgruppe von Ivan Matic sagt dazu: „Was ich hier so interessant finde, ist, dass wir die ADP-Ribosylierung, unseren Liebling unter den Proteinmodifizierungen, direkt Mechanismen zuweisen können. Obwohl man von ihrer wichtigen Rolle in Prozessen von klinischem Interesse, wie z.B. Pathogenese oder der Reparatur von DNA-Schäden, weiß, sind die genauen Mechanismen bis heute größtenteils schleierhaft.  In unserer Studie sehen wir nicht nur wie ADP-Ribosylierung die Funktion eines Proteins durch Strukturänderungen modulieren kann, sondern auch wie sie als exakt platziertes Energiepacket für spezifische chemische Folgereaktionen dienen kann– wie eine klug gestellte Mausefalle. Ein einzelnes mehrteiliges Protein in Legionella bindet diese energiereiche Modifizierung an ein Substrat und benutzt sie dort, um ein anderes Proteine an das Substrat zu knüpfen. Es sind weiterhin Mechanismen vorstellbar in denen ein Enzym eine ADP-Ribosylierung platziert, um diese Energie für einen anderen enzymatischen Vorgang bereit zu stellen.“

Erfahren Sie mehr über die Arbeit in der Forschungsgruppe Matic.

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht