Mit weniger Kalorien gesünder altern

Fragen und Antworten zu Tierversuchen mit reduzierter Nahrungsaufnahme am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns

Warum werden Alterungsprozesse an Tieren erforscht?

Der Alterungsprozess und der Stoffwechsel unseres Körpers sind eng miteinander verbunden. Altern ist ein sehr komplexer Prozess, bei dem das Zusammenwirken verschiedener Organe, Umwelteinflüsse oder zum Beispiel das Mikrobiom eine Rolle spielen. Um dieses komplexe Zusammenspiel in seiner Gänze verstehen zu können, ist die Erforschung des Alterungsprozesses an Modellorganismen wie Mäusen, Fischen, Fliegen und Würmern von großer Bedeutung. Für diese Labortiere existieren etablierte Testmethoden, die eine weltweite Vergleichbarkeit von Studienergebnissen ermöglichen.
Letztendlich ist das Ziel, die Erkenntnisse von Modellorganismen auf den Menschen übertragen zu können. Alterungsprozesse direkt am Menschen zu erforschen ist jedoch gar nicht so einfach. Beim Menschen können nie die Wirkungen äußerer Einflüsse auf den Alterungsprozess ausgeschlossen werden. Zum Beispiel spielt beim Alterungsprozess nicht nur die genetische Veranlagung des jeweiligen Lebewesens eine Rolle, sondern vor allem äußere Faktoren wie Ernährung, Umwelt und Stress [1]. Tiere in einer Laborumgebung bieten die Möglichkeit, möglichst viele dieser äußeren Faktoren konstant zu halten und somit deren Einfluss auf den Alterungsprozess zu verringern. Zudem ermöglichen sie ursächliche und tiefergehende Studien, die auch molekulare Prozesse aufklären können.

Was verbirgt sich hinter einer reduzierten Nahrungsaufnahme und warum werden deren Effekte an unserem Institut untersucht?

Seit langem sind die gesundheitlichen Vorteile einer ausgewogenen und gesunden Ernährung bekannt [2, 3]. Forschungsergebnisse haben jedoch auch gezeigt, dass eine Verminderung der Nahrungsaufnahme bei vielen Lebewesen zu einem gesünderen und oft längeren Leben führt – potentiell auch beim Menschen [4]. Unter einer verminderten Nahrungsaufnahme versteht man aber keineswegs eine permanente Unterernährung. Stattdessen handelt es sich um eine reduzierte Nahrungsaufnahme bei gleichzeitiger Vermeidung von Mangelernährung [5]. Manche Menschen reduzieren freiwillig ihre Nahrungsaufnahme, um gesünder zu altern und länger zu leben, so wie die Mitglieder der Internationalen Gesellschaft für Kalorienreduktion (Link: https://www.crsociety.org/). Erste Studien zeigen (https://calerie.duke.edu/), dass sich diese freiwillige Kalorienreduktion positiv auf die Gesundheit, aber auch auf Stimmung, das Sexualverhalten oder den Schlaf der Probanden auswirkt [6].
Eine reduzierte Nahrungsaufnahme bietet somit eine mögliche Option zur Behandlung von altersbedingten Erkrankungen beim Menschen [7]. Eine der entscheidenden Fragen ist jedoch, ob die umfassenden Vorteile einer reduzierten Nahrungsaufnahme zu jedem Zeitpunkt des Lebens wirksam ausgelöst werden können. Bei Fliegen senkt eine reduzierte Nahrungsaufnahme sowohl in jungen als auch in alten Tieren die Sterberate deutlich, unabhängig von der vorherigen Ernährung. Andererseits führte die Umstellung von Fliegen mit langfristig reduzierter Nahrungsaufnahme auf eine unbegrenzte Nahrungsaufnahme zu einer Erhöhung der Sterberate [8]. Untersuchungen zu den Effekten einer reduzierten Nahrungsaufnahme in älteren Nagetieren ergaben bislang jedoch widersprüchliche Ergebnisse [9-12].
Die Frage nach den positiven Auswirkungen einer reduzierten Nahrungsaufnahme, speziell wenn sie erst im hohen Alter begonnen wird, ist somit keineswegs geklärt. Weitere Forschung in diesem Bereich ist nötig, um die Effekte einer reduzierten Nahrungsaufnahme als mögliche Therapie gegen altersbedingte Erkrankungen zu verstehen.

Was bedeutet eine reduzierte Nahrungsaufnahme für die Ernährung von Mäusen?

Die Effekte einer reduzierten Nahrungsaufnahme werden an unserem Institut unter anderem an Mäusen erforscht. Mäuse, die über eine reduzierte Ernährung gefüttert werden, erhalten 40 Prozent weniger Futter als ihre Artgenossen, die nach Belieben fressen dürfen [13]. Die Verminderung der Nahrung findet schrittweise über einen Zeitraum von vier Wochen statt. Hierbei bekommen die Mäuse Futter, das mit Vitaminen und Mineralien angereichert ist, um einer Mangelernährung vorzubeugen. Dieses Futter erhalten sie einmal pro Tag – sie führen also eine Art Intervallfasten durch.
Um die Nahrungseinschränkungen verstehen zu können, muss man die Fressgewohnheiten wildlebender Mäuse mit der Ernährung von Labormäusen vergleichen. Die wilde Hausmaus verbringt einen großen Teil ihrer Zeit mit der nächtlichen Futtersuche an 20-30 verschiedenen Futterstellen, die sich hinsichtlich des Nährwerts der jeweiligen Nahrung stark unterscheiden können [14]. Im Gegensatz dazu können die Mäuse in den meisten Laboratorien nach Belieben fressen. Eine solche Fütterung wird auch als Ad-libitum-Ernährung bezeichnet. Die Mäuse erhalten rund um die Uhr Zugang zu energiereichem Futter [15]. Sie unterscheidet sich jedoch nicht nur grundlegend vom natürlichen Futtersuchverhalten der Hausmäuse, sondern geht auch mit einigen bekannten negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden einher. Insbesondere hat sich gezeigt, dass die Ad-libitum-Fütterung bei Labormäusen und Ratten im Alter zu Fettleibigkeit führt [16]. Darüber hinaus wurde sie mit einer frühzeitigen Sterblichkeit aufgrund schwerer degenerativer Erkrankungen und einer höheren Inzidenz von spontanen Tumoren in Verbindung gebracht [17-19].
Obwohl die Einschränkungen nahrungsreduzierter Mäuse auf den ersten Blick sehr drastisch wirken mögen, ähneln sie im Vergleich zum Standard, der Ad-libitum-Ernährung, vermutlich mehr den natürlichen Gewohnheiten der Mäuse und wirken sich positiv auf die Gesundheit der Tiere aus – insbesondere im Alter, wie eine Studie unseres Instituts gezeigt hat.

Welche Experimente haben am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns stattgefunden?

Wissenschaftler:innen am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns haben den Einfluss einer verringerten Nahrungszufuhr zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Leben von Mäusen erforscht. Hierfür wurden bei 800 weiblichen Mäusen die Auswirkungen einer Ernährungsumstellung auf ihre Gesundheit und Lebensspanne untersucht [13]. Zunächst wurden alle Mäuse über eine Ad-libitum-Fütterung (s.o.) ernährt. Im Alter von drei Monaten, was dem Eintritt in das Erwachsenenalter entspricht, wurden 400 Mäuse fortan mit verminderter Nahrungszufuhr gefüttert, während die anderen 400 Mäuse weiterhin ad-libitum gefüttert wurden. Nach etwa zwei Jahren, wurde ein Teil der Mäuse erneut auf eine andere Ernährung umgestellt. Zu diesem Zeitpunkt waren 86 Mäuse der Ad-libitum-Gruppe und 16 Mäuse mit reduzierter Nahrungszufuhr auf natürliche Weise gestorben. Die Hälfte der Mäuse, die ihr Leben lang eine Ad-libitum-Ernährung erhalten hatten, erhielt fortan eine verminderte Nahrungszufuhr, während die andere Hälfte weiterhin nach Belieben fressen konnte. Andersherum wurde die Hälfte der Mäuse, die zuvor Einschränkungen in ihrer Ernährung erlebte, auf eine Ad-libitum-Fütterung umgestellt, während die zweite Hälfte weiterhin eine verminderte Nahrungszufuhr erhielt [13].
Insgesamt wurden während des Experiments 40 Mäuse, zehn aus jeder der vier Ernährungsgruppen, getötet, um Organe entnehmen und molekularbiologische Untersuchungen durchführen zu können. Von den übrigen 760 Mäusen wurde die Lebensspanne bestimmt, das heißt, sie sind eines natürlichen Todes gestorben oder wurden aus tierethischen Gründen getötet, um ihnen unnötiges Leid zu ersparen [13].

Welche Auswirkungen hat eine reduzierte Nahrungsaufnahme auf die Gesundheit der Mäuse?

Eine Verminderung der Nahrungsaufnahme führt bei vielen Lebewesen zu einem gesünderen und oft längeren Leben. Mäuse leben länger und sind im Alter gesünder, wenn sie im Alter von drei Monaten, sprich mit Eintritt in das Erwachsenenalter, 40 Prozent weniger Futter bekommen als Artgenossen, die nach Belieben fressen dürfen. Im Vergleich zu den Tieren, denen rund um die Uhr Futter zur Verfügung steht und deren Körpergewicht mit dem Alter stetig zunimmt, halten diese Tiere ihr Körpergewicht ihr Leben lang [13]. Sie zeigen generell eine höhere sportliche Fitness, eine verbesserte Lernfähigkeit und Erinnerungsvermögen und sind besser gegen altersbedingte Erkrankungen wie Diabetes oder Krebs geschützt.
Entscheidend für die positive Wirkung der reduzierten Nahrungsaufnahme ist, wann damit begonnen wird. Fangen die Mäuse erst im Seniorenalter mit der reduzierten Nahrungszufuhr an, bleibt die Lebenserwartung weitgehend gleich. Der Körper verfügt sozusagen über ein Gedächtnis an die frühere Ernährung [13]. Die Ernährungsumstellung der Mäuse ist also nur gesünder, wenn früh damit begonnen und sie bis ins hohe Alter beibehalten wird (Link: https://www.age.mpg.de/de/kommunikation/neuigkeiten/detail/gesundheit-im-alter-ist-eine-lebensaufgabe).
Diese Erkenntnisse könnten auch für den Menschen von enormer Bedeutung sein. Sie deuten darauf hin, dass gesunde Verhaltensweisen früher im Leben etabliert werden müssen, um die Gesundheit im Alter zu verbessern und die Lebenszeit zu verlängern. Die Untersuchungen an Mäusen liefern Hinweise darauf, in welchem Alter es für Menschen noch sinnvoll sein kann die Ernährung umzustellen.

Was wissen wir bereits über die Auswirkungen von Kalorienrestriktion auf die Lebenserwartung im Menschen?

Bis jetzt wissen wir nicht, ob die Kalorienrestriktion auch bei Menschen die Lebenszeit verlängern kann. Manche Menschen reduzieren freiwillig ihre Nahrungsaufnahme, um gesünder zu altern und länger zu leben, so wie die Mitglieder der Internationalen Gesellschaft für Kalorienreduktion. Erste Studien zeigen, dass sich diese freiwillige Kalorienreduktion positiv auf die Gesundheit, aber auch auf Stimmung, das Sexualverhalten oder den Schlaf der Probanden auswirkt [6]. Oft sind solche Studien jedoch relativ kurzfristig angelegt, also höchstens über mehrere Jahre, sodass der Effekt einer Kalorienrestriktion auf die Lebenszeit nicht bekannt ist. Hinzu kommt, dass beim Menschen nie die Wirkungen äußerer Einflüsse auf den Alterungsprozess ausgeschlossen werden können. So spielt beim Alterungsprozess nicht nur die genetische Veranlagung des jeweiligen Lebewesens eine Rolle, sondern vor allem äußere Faktoren wie Ernährung, Umwelt und Stress [1].

1.    Melzer, D., L. C. Pilling, and L. Ferrucci, The genetics of human ageing. Nat Rev Genet, 2020. 21(2): p. 88-101.
2.    Moore, K., et al., Diet, nutrition and the ageing brain: current evidence and new directions. Proc Nutr Soc, 2018. 77(2): p. 152-163.
3.    Pallauf, K., et al., Nutrition and healthy ageing: calorie restriction or polyphenol-rich "MediterrAsian" diet? Oxid Med Cell Longev, 2013. 2013: p. 707421.
4.    Fontana, L., L. Partridge, and V. D. Longo, Extending healthy life span--from yeast to humans. Science, 2010. 328(5976): p. 321-326.
5.    Fontana, L., et al., Long-term calorie restriction is highly effective in reducing the risk for atherosclerosis in humans. Proc Natl Acad Sci U S A, 2004. 101(17): p. 6659-6663.
6.    Martin, C. K., et al., Effect of Calorie Restriction on Mood, Quality of Life, Sleep, and Sexual Function in Healthy Nonobese Adults: The CALERIE 2 Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med, 2016. 176(6): p. 743-752.
7.    Partridge, Linda, Joris Deelen, and P. Eline Slagboom, Facing up to the global challenges of ageing. Nature, 2018. 561(7721): p. 45-56.
8.    Mair, W., et al., Demography of dietary restriction and death in Drosophila. Science, 2003. 301(5640): p. 1731-1733.
9.    Weindruch, R., The retardation of aging by caloric restriction: studies in rodents and primates. Toxicol Pathol, 1996. 24(6): p. 742-745.
10.    Merry, B. J., A. J. Kirk, and M. H. Goyns, Dietary lipoic acid supplementation can mimic or block the effect of dietary restriction on life span. Mech Ageing Dev, 2008. 129(6): p. 341-348.
11.    Forster, M. J., P. Morris, and R. S. Sohal, Genotype and age influence the effect of caloric intake on mortality in mice. Faseb j, 2003. 17(6): p. 690-692.
12.    Dhahbi, J. M., et al., Temporal linkage between the phenotypic and genomic responses to caloric restriction. Proc Natl Acad Sci U S A, 2004. 101(15): p. 5524-5529.
13.    Hahn, O., et al., A nutritional memory effect counteracts benefits of dietary restriction in old mice. Nat Metab, 2019. 1(11): p. 1059-1073.
14.    Latham, Naomi and Georgia Mason, From house mouse to mouse house: the behavioural biology of free-living Mus musculus and its implications in the laboratory. Applied Animal Behaviour Science, 2004. 86(3): p. 261-289.
15.    Feige-Diller, Janina, et al., The Effects of Different Feeding Routines on Welfare in Laboratory Mice. Frontiers in Veterinary Science, 2020. 6(479).
16.    Keenan, K. P., et al., Diabesity: a polygenic model of dietary-induced obesity from ad libitum overfeeding of Sprague-Dawley rats and its modulation by moderate and marked dietary restriction. Toxicol Pathol, 2005. 33(6): p. 650-674.
17.    Keenan, K. P., et al., The effects of overfeeding and moderate dietary restriction on Sprague-Dawley rat survival, pathology, carcinogenicity, and the toxicity of pharmaceutical agents. Exp Toxicol Pathol, 1996. 48(2-3): p. 139-144.
18.    Roe, F. J. C. 1200-Rat Biosure Study: Design and Overview of Results. in Biological Effects of Dietary Restriction. 1991. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.
19.    Roe, F. J., et al., The Biosure Study: influence of composition of diet and food consumption on longevity, degenerative diseases and neoplasia in Wistar rats studied for up to 30 months post weaning. Food Chem Toxicol, 1995. 33 Suppl 1: p. 1s-100s.

 

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