"Wir wollen so inklusiv wie möglich sein"

Ein Gespräch mit unseren Gleichstellungsbeauftragten

13. September 2021

Zu Beginn des Jahres 2021 wurden Laurène André, Stephanie Panier und Uschi (Orsolya) Symmons zu Gleichstellungsbeauftragten des Instituts gewählt. Wir haben mit ihnen gesprochen, um zu erfahren, wie sie ihre Rolle definieren und welche Pläne sie für die Zukunft haben.

Warum habt Ihr Euch als Gleichstellungsbeauftragte wählen lassen?

Stephanie: Ich habe während meiner gesamten Forschungskarriere erlebt, dass es Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gibt. Daher habe ich mich immer sehr für die Probleme interessiert, mit denen Wissenschaftlerinnen in einem von Männern dominierten Arbeitsumfeld konfrontiert sind. Nach meiner Postdoc-Phase und dem Wechsel in meine neue Rolle als Gruppenleiterin und Mutter habe ich angefangen, darüber nachzudenken, warum Frauen und insbesondere Mütter so unterrepräsentiert sind, je höher man auf der wissenschaftlichen Karriereleiter aufsteigt, und was nötig wäre, um dies zu ändern. Die Tätigkeit als Gleichstellungsbeauftragte ist für mich die perfekte Gelegenheit, Wissenschaftlerinnen an unserem Institut direkt zu unterstützen und ein Arbeitsumfeld mitzugestalten, das Frauen ermutigt, wissenschaftliche Führungspositionen anzustreben.

Laurène:  Ich halte es für wichtig, in einem integrativen Umfeld zu arbeiten, in dem Menschen aller Geschlechter die gleichen Rechte, Pflichten und Möglichkeiten haben und sich frei fühlen, Themen und Fragen anzusprechen, die sie betreffen könnten. Ich dachte, es wäre eine gute Gelegenheit für mich, eine aktive Rolle bei diesem Thema zu übernehmen und mehr darüber zu erfahren.

Habt Ihr Situationen erlebt, in denen Ihr das Gefühl hattet, dass Ihr oder jemand anderes nicht gleichbehandelt wurde?

Stephanie: Ich habe im Laufe meiner Jahre in der Wissenschaft viele Situationen erlebt - zum Glück keine direkte sexuelle Belästigung, aber viele, viele kleine Dinge wie beiläufige Bemerkungen über mein Geschlecht oder über meine mangelnde Qualifikation, weil ich eine Frau bin. Nach meinem Forschungsprojekt im Grundstudium sagte mir zum Beispiel ein leitender Forscher in dem Labor, in dem ich damals arbeitete, dass ich keinen Doktortitel anstreben sollte, weil ich eine Frau sei und im Gegensatz zu meinen männlichen Kollegen einfach nicht "das Zeug" dazu hätte. Er meinte, ich sei nur wegen meiner körperlichen Eigenschaften in das Labor gekommen.  Eine Zeit lang habe ich ihm geglaubt und mich wegen dieser Erfahrung fast nicht mehr für eine Graduiertenschule beworben. Bis heute denke ich trotz all meiner Erfolge immer noch gelegentlich daran.

Uschi: Ich selbst hatte nie das Gefühl, dass mein Geschlecht bei der Bewertung eine Rolle spielt. Für mich ist es eher die systemische Ungerechtigkeit, die ich immer wieder erlebt habe. Altersgrenzen in Stipendien berücksichtigen zum Beispiel nicht die vielen Statistiken, die zeigen, dass die Karriere von Frauen oft ein Jahr oder länger dauert.

Laurène: Ich bin auch auf einige geschlechtsspezifische Probleme gestoßen. Eine Situation an die ich mich allerdings besonders erinnere, ist die Bemerkung eines Gruppenleiters gegenüber einer Doktorandin: "Warum sollten Sie sich für dieses Stipendium bewerben - Sie sind doch sowieso schon in dem Alter, in dem Sie Kinder bekommen können?". Auch wenn es eine beiläufige Bemerkung war, wurde mir dadurch bewusst, dass einige Forscher Frauen immer noch anders sehen als Männer, und zwar nicht in erster Linie als Forscherinnen.

Seid Ihr der Meinung, dass auch Männer Gleichstellungsbeauftragte werden oder zumindest wählen können sollten?

Uschi: Darüber wird viel diskutiert. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass Chancengleichheit nur möglich ist, wenn alle mitmachen. Man kann nicht einfach im Alleingang beschließen, dass man Chancengleichheit haben will. Das führt natürlich zu einer Menge Feindseligkeit, wenn man einer Gruppe sagt, dass sie nicht an dieser Reise teilnehmen soll. Gleichzeitig glaube ich, dass viele Frauen negative Erfahrungen gemacht haben und sich Sorgen machen, dass Männer als Gleichstellungsbeauftragte das Gespräch dominieren werden. Wir als Team haben beschlossen, dass wir versuchen, so inklusiv wie möglich zu sein. Wir versuchen zu vermitteln, dass es uns egal ist, welches Geschlecht jemand hat, wenn er oder sie das Gefühl hat, dass das Thema für uns relevant ist, sind wir gerne bereit, ihn oder sie so gut wie möglich zu vertreten. Jede Maßnahme, die die Inklusion verbessert, wird hoffentlich alle unterrepräsentierten Gruppen erfassen. Und dazu gehört nicht nur das Geschlecht, sondern auch Nationalitäten oder Akademiker der ersten Generation.

Was denkt Ihr über die aktuelle Situation am Institut? Konntet Ihr bisher größere Probleme ausmachen?

Stephanie: Die Situation am Institut ist eigentlich ganz gut. Bei den Direktorenposten sind wir zum Beispiel im Moment bei 50/50. Auf der Ebene der Forschungsgruppenleiter*innen könnte der Frauenanteil noch besser sein, aber ich bin zuversichtlich, dass diese Lücke geschlossen werden kann, wenn die offenen Stellen in den nächsten Jahren besetzt werden. Im Allgemeinen herrscht am Institut ein sehr integrativer Geist. Die Mitarbeitenden sind sehr interessiert und aufgeschlossen gegenüber Themen, die die Gleichstellung der Geschlechter und die Chancengleichheit betreffen. Seit wir Anfang des Jahres als Gleichstellungsbeauftragte angefangen haben, werden wir zum Beispiel von männlichen Kollegen auf bestimmte Gleichstellungsthemen angesprochen, etwa auf die geschlechtergerechte Sprache in der internen Kommunikation des Instituts. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit ist es derzeit, das Gespräch über Gleichstellung und Chancengleichheit auch für LGBTQ+-Themen zu öffnen, da diese am Institut derzeit nicht wirklich thematisiert werden.

Uschi: Ein weiterer Bereich, an dem wir aktiv arbeiten, ist es, die Sichtbarkeit des Gleichstellungsbüros zu erhöhen und zu erklären was wir tun und wie wir anderen helfen können. In Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen haben wir zum Beispiel festgestellt, dass viele Menschen nicht wirklich wissen, an wen sie sich wenden können, wenn sie sexuelle Diskriminierung oder sogar Missbrauch erleben oder beobachten. Zum Glück sind solche Fälle selten, aber es ist unsere Aufgabe, eine Anlaufstelle zu sein, Ratschläge zu geben - und die Mitarbeitenden zu unterstützen, wenn sie eine formelle Beschwerde einreichen wollen. Und natürlich ist jedes solche Gespräch absolut vertraulich!

Ihr habt alle außerhalb Deutschlands gelebt - glaubt ihr, dass die Situation in anderen Ländern anders ist?

Stephanie: Für mich persönlich war das Thema Gleichstellung nie so akut wie nach meinem Umzug nach Deutschland. Ich bin eine berufstätige Mutter und muss mich hier in Deutschland regelmäßig dafür rechtfertigen, dass ich meine Kinder bis nachmittags in die Kita schicke. Und von der Schwierigkeit, überhaupt einen Ganztagsbetreuungsplatz für mein Kleinkind zu finden, gar nicht erst zu reden! Ich habe in England gelebt, bevor ich nach Deutschland kam, und dort ist es viel akzeptierter und normaler, dass eine Mutter eines Kleinkindes ganztags arbeitet.

Uschi: An meiner früheren Universität in den USA war ich auch sehr am Gleichstellungsprogramm beteiligt. Es gab ein sehr aktives Programm mit viel Unterstützung von Kolleg*innen, aber als wir versuchten, Maßnahmen umzusetzen, waren wir sehr stark auf die Unterstützung der Forschungsgruppenleiter*innen und der Universitätsleitung angewiesen, weil es kein formelles Programm war. In gewisser Weise gefällt mir die formale Rolle eines Gleichstellungsbüros mit einem tatsächlichen Budget, das es uns ermöglicht, Dinge zu tun.

Was sind Eure nächsten Schritte?

Stephanie: Als Erstes planen wir eine Umfrage, um herauszufinden, welche Anliegen unsere Kolleg*innen am Institut in Bezug auf Gleichstellung und Vielfalt haben und welche Veränderungen sie sich am Institut erhoffen. Wir hoffen, dass uns die Ergebnisse dieser Umfrage dabei helfen werden, ein Programm für Gleichstellung und Vielfalt zu entwickeln, das speziell auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden hier am Institut zugeschnitten ist.

Laurène: Wie Uschi bereits erwähnt hat, planen wir, unsere Position sichtbarer zu machen. Unsere Kolleg*innen sollen wissen, an wen sie sich wenden können, wenn sie Probleme im Zusammenhang mit der Geschlechtergleichstellung bemerken. Wir wollen einige Veranstaltungen organisieren, die sich an alle Geschlechter richten und Themen behandeln, die sich aus der Umfrage ergeben könnten.

Ein Beitrag von Maren Berghoff.

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