Lässt sich das Altern bremsen?

Obwohl wir nicht erwarten können, den Alterungsprozess des Menschen vollständig aufzuhalten, zeigen die molekularen Mechanismen, die dem Alterungsprozess zugrunde liegen, dass das Altern durch bestimmte zelluläre Prozesse reguliert wird. Durch die Beeinflussung dieser Prozesse könnte es möglich sein, den Alterungsprozess zu verlangsamen und die Gesundheit im Alter zu verbessern.

Weniger essen und älter werden: Der Einfluss der Ernährung auf den Alterungsprozess

Bei den meisten Tieren sind Bewegung und Ernährung die Haupteinflüsse auf die Geschwindigkeit des Alterns. Bei verschiedenen Tieren führt eine Reduzierung der Nahrungsaufnahme (Nahrungsrestriktion) zu einem gesünderen und oft längeren Leben [Fontana et al. 2010]. Es scheint jedoch nicht so sehr die Menge an Nahrung, die wir zu uns nehmen, zu sein, die den Alterungsprozess des Körpers beeinflusst, sondern vielmehr das, was wir essen. Die einzelnen Nährstoffe in der Nahrung wirken sich direkt auf die Gesundheit und den Alterungsprozess eines Tieres aus [Simpson et al. 2017]. Die Abteilung von Linda Partridge hat beispielsweise herausgefunden, dass Taufliegen, die mit einem hohen Gehalt an Proteinen und Aminosäuren gefüttert werden, früher sterben als Fliegen, die eine ausgewogene Ernährung erhalten [Piper et al. 2017]. Umgekehrt hat eine Studie gezeigt, dass sich eine reduzierte Aufnahme bestimmter Aminosäuren positiv auf die Gesundheit auswirkt - auch beim Menschen [Juricic et al. 2020, Fontana et al. 2016]. Diese Ergebnisse legen nahe, dass insbesondere der Verzicht auf eine proteinreiche Ernährung die Lebensspanne verlängern und die Gesundheit im Alter verbessern könnte. Allerdings sind die meisten für Modellorganismen vorteilhaften Ernährungsweisen für den Menschen nur schwer umzusetzen, so dass weitere Forschung zu diesem Thema erfolderlich ist.

Junge Darmbakterien

Was und wie viel wir essen, hat also einen direkten Einfluss auf unsere Gesundheit und den Alterungsprozess. Aber auch die Bakterien in unserem Darm, die bei der Verdauung der Nahrung helfen, scheinen einen direkten Einfluss auf unsere Gesundheit und den Alterungsprozess zu haben. Dario Riccardo Valenzano, ehemaliger Forschungsgruppenleiter an unserem Institut, erforscht den Einfluss von Darmbakterien auf den Alterungsprozess. Seine Forschungsgruppe untersuchte die Alterung des türkisen Prachtgrundkärpflings und konnte zeigen, dass alte Fische länger aktiv bleiben und bis zu 40 Prozent länger leben, wenn sie die Darmbakterien von jungen Fischen erhalten [Smith et al. 2017]. Die Zusammensetzung der Mikroorganismen im Darm der Fische, die so genannte Darmflora, scheint also einen direkten Einfluss auf den Alterungsprozess zu haben. Die Mikroorganismen beeinflussen unter anderem die Nahrungsaufnahme, den Stoffwechsel und die Immunabwehr. Mit zunehmendem Alter verändert sich die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaft im Darm [O'Toole & Jeffery 2015]. Die Vielfalt der Bakterien, die in der Jugend für einen gesunden Darm sorgen, nimmt ab und unter den verbleibenden Bakterien findet sich ein größerer Anteil an Krankheitserregern. Interessanterweise weist die Darmflora des türkisen Prachtgrundkärpflings große Ähnlichkeiten mit der des Menschen auf, so dass die Ergebnisse auch für den menschlichen Alterungsprozess von Bedeutung sein könnten.

Das Recyclingprogramm der Zelle: Autophagie und der TOR-Signalweg

Die Menge der Nährstoffe, die wir über die Nahrung aufnehmen, beeinflusst die Verfügbarkeit von Nährstoffen in den Zellen. Wenn die Nährstoffe in den Zellen knapp werden, weil eine geringe Menge an Nahrung aufgenommen wurde, aktivieren unsere Zellen einen Recycling-Mechanismus, der Autophagie genannt wird. Der Begriff "Autophagie" kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "Selbstverzehr". Denn durch den Prozess der Autophagie werden Bestandteile innerhalb unserer Zellen abgebaut, um sie zu recyceln und die einzelnen Bausteine wiederzuverwenden.

Inzwischen ist nicht nur bekannt, dass der Prozess der Autophagie mit zunehmendem Alter abnimmt, sondern auch, dass eine Aktivierung der Autophagie positive Auswirkungen auf die Gesundheit und die Lebensdauer eines Organismus hat [He et al. 2013]. Die Aktivierung der Autophagie hängt direkt von der Verfügbarkeit von Nährstoffen und dem Energiestatus der Zelle ab. Daher ist ihre Regulation an ein Netzwerk molekularer Signalwege gebunden. Das so genannte "IIT-Netzwerk" wird aktiviert, wenn nur eine geringe Menge an Aminosäuren in der Zelle vorhanden ist und findet sich in einer Vielzahl von Organismen, von der Fruchtfliege bis zum Menschen [Fontana et al. 2010]. Das Netzwerk steuert Entwicklung, Zellteilung, Wachstum, Vermehrung und die Reaktion auf Stress. Wie ein hochpräziser Sensor misst das IIT-Netzwerk den Nährstoffstatus im Körper und passt die Stoffwechselprozesse entsprechend an, basierend auf dem Bedarf und der Verfügbarkeit von Nahrung [Partridge et al. 2011]. Eine reduzierte Nahrungsaufnahme, wie bei einer sogenannten Nahrungsrestriktion, stoppt offenbar die Aktivität des Netzwerks.

Einer der Signalwege des IIT-Netzwerks ist der TOR-Signalweg. TOR verknüpft Signale wie Energie-, Ernährungs- und Stressstatus mit grundlegenden zellulären Aktivitäten. Man kann durchaus sagen, dass TOR der Hauptregulator des zellulären Stoffwechsels ist [Dobrenel et al. 2016]. Ist der TOR-Signalweg aktiv, werden vermehrt zelluläre Funktionen aktiviert, die für Zellwachstum und -teilung verantwortlich sind. Die Deaktivierung des TOR-Signalweges hingegen aktiviert den Prozess der Autophagie, der sich positiv auf die Gesundheit auswirkt. Die genaue Regulation von TOR ist daher ein äußerst interessanter Forschungsgegenstand für die Alternsforschung.

Mitochondrien: Mehr als nur Produktionsstätten für Energie

Die meiste Energie der Zelle wird von kleinen Bestandteilen innerhalb unserer Zellen produziert, die als Mitochondrien bezeichnet werden. Obwohl Mitochondrien vor allem für ihre Rolle in der Energieerzeugung bekannt sind, sind sie tatsächlich an über 1000 Stoffwechselwegen einer Zelle beteiligt, was ihre korrekte Funktion für die Gesundheit eines Organismus unerlässlich macht.

Mitochondrien sind für die Alternsforschung von besonderem Interesse, da sie bei der Energiegewinnung reaktive Sauerstoffspezies (ROS) erzeugen. ROS können alle Moleküle einer Zelle schädigen und galten daher lange Zeit als Ursache für den Alterungsprozess. Neuere Erkenntnisse zeigen jedoch, dass sowohl zu hohe als auch zu niedrige ROS-Werte ungesund sind. Das bedeutet, dass die von den Mitochondrien produzierten Radikale in genau der richtigen Menge für unsere Gesundheit und den Alterungsprozess am besten sind [Sies & Jones 2020].

Da die Mitochondrien die Energie für die Zelle liefern, haben ihre Aktivität und Funktionalität einen direkten Einfluss auf den Energiestatus der Zelle. Die Menge der von den Mitochondrien erzeugten Energie wird über einen spezifischen Signalweg gemessen und beeinflusst das weitere Verhalten der Zelle. Steht beispielsweise viel Energie zur Verfügung, wird der TOR-Signalweg aktiviert, der unter anderem für Zellwachstum und Zellteilung sorgt. Ist das Energieniveau in der Zelle niedrig, wird der TOR-Signalweg gehemmt und stattdessen die Autophagie aktiviert [Papadopoli et al. 2019].

Da wir unsere Energie in erster Linie durch die Umwandlung von Nährstoffen erhalten, ist es nicht verwunderlich, dass eine reduzierte Nahrungsaufnahme auch die der Zelle zur Verfügung stehende Energiemenge reduziert. Als Folge wird der Prozess der Autophagie verstärkt aktiviert. Auf der anderen Seite erklärt die Funktion der Mitochondrien zum Teil, warum körperliche Aktivität so vorteilhaft für die Gesundheit und das Altern sein kann. So werden bei körperlicher Aktivität etwas höhere Mengen an ROS freigesetzt, die sich in dieser Menge nachweislich positiv auf die Gesundheit auswirken. Außerdem verbraucht der Körper beim Sport viel Energie, was wiederum die Autophagie aktiviert [Brunetta et al. 2020Watson & Baar 2014].

Gibt es keine Pille dagegen? - Wirkstoffe, die das Altern aufhalten können

Derzeit sind keine Medikamente oder Behandlungen bekannt, die nachweislich die Lebensspanne von Menschen verlängern können. Bei Versuchstieren wie Würmern, Fliegen und Mäusen ist es jedoch bereits möglich, durch verschiedene Eingriffe die Lebensspanne zu verlängern und die Gesundheit zu verbessern. Nahrungsrestriktion kann die gesunde Lebensspanne bei verschiedenen Tierarten verlängern [Fontana et al. 2010]. 

Obwohl eine eingeschränkte Nahrungsaufnahme auch bestimmte Aspekte der menschlichen Gesundheit verbessert, ist es für den Menschen schwierig, eine solche Diät einzuhalten. Daher werden verschiedene Wirkstoffe erforscht, die auf die Mechanismen abzielen, die die gesundheitlichen Vorteile einer Nahrungsrestriktion vermitteln. Menschen, die auch bei optimaler Ernährung nicht in der Lage sind, ihr Leben zu verlängern, könnten dennoch von solchen Wirkstoffen profitieren.

So ist das Medikament Rapamycin eine der bisher vielversprechendsten Anti-Ageing-Substanzen [Selvarani et al. 2021]. Benannt ist Rapamycin nach "Rapa Nui", der einheimischen Übersetzung für die Osterinseln, wo der Wirkstoff als Stoffwechselprodukt von Bakterien in einer Bodenprobe entdeckt wurde. Ursprünglich gaben diese Bakterien Rapamycin in den Boden ab, um das Wachstum konkurrierender Pilze zu stoppen und selbst möglichst viele Nährstoffe aufzunehmen. Rapamycin wurde zuerst als immunsuppressives Medikament nach Nierentransplantationen eingesetzt [Morath et al. 2007]. Interessanterweise hat Rapamycin einen sehr positiven Effekt auf die Gesundheit im Alter und die Lebenserwartung im Allgemeinen. Rapamycin erreicht diesen Effekt, indem es den TOR-Signalweg ausschaltet und damit den Prozess der Autophagie aktiviert. Werden z. B. Taufliegen mit Rapamycin behandelt, steigt ihre Lebenserwartung deutlich an [Bjedov et al. 2010]. Die Abteilung von Linda Partridge konnte die Lebenserwartung von Taufliegen um fast 50 Prozent erhöhen, wenn ihnen Rapamycin und zwei weitere Substanzen verabreicht wurden [Castillo-Quan et al. 2019].

Ein weiteres untersuchtes mögliches Anti-Ageing-Präparat ist Metformin. Metformin wird zur Behandlung von Diabetes eingesetzt und hemmt u.a. die Neubildung von Glukose in der Leber [Soukas et al. 2019]. Mit Metformin gefütterte Mäuse leben länger und Metformin ist ein sicheres Medikament ohne ernsthafte Nebenwirkungen. Deshalb wurde es für die erste klinische Studie eines Medikaments gegen das "Altern" beim Menschen ausgewählt, die sogenannte TAME-Studie, die in den USA mit dreitausend Teilnehmer:innen geplant ist.

Auch verschiedene so genannte Senolytika, die gezielt den Zelltod in seneszenten, d. h. sich nicht mehr teilenden Zellen aulösen [Xu et al. 2018], werden auf ihre Wirkung gegen das Altern untersucht. Eine solche Substanz heißt Tanespimycin und hat im Modellorganismus Caenorhabditis elegans, einem in der Grundlagenforschung häufig verwendeten Fadenwurm, eine Anti-Ageing-Wirkung gezeigt. Tanespimycin reduziert die Zahl der seneszenten Zellen und damit auch die Zahl der von ihnen abgesonderten Moleküle, die eine chronische Infektion verursachen [Fuentealba et al. 2019]. Ob sich Tanespimycin wirklich als Anti-Ageing-Wirkstoff beim Menschen eignet, muss noch gezeigt werden. Die Anwendung ist mit schweren Nebenwirkungen verbunden.

Es gibt also bereits einige vielversprechende Medikamente, die in Zukunft unseren Alterungsprozess verlangsamen könnten. Ob sie für den Einsatz beim Menschen geeignet sind und ob sie als Anti-Ageing-Mittel halten, was sie versprechen, muss noch genauer erforscht werden.

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Quellenangaben: 

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