Warum altern wir? 

Evolutionstheorien des Alterns

Warum altern wir überhaupt? Wenn es in unseren Zellen Prozesse gibt, die unsere Lebensspanne verlängern können, warum haben die Organismen dann keine entsprechenden Mechanismen entwickelt?

Die Lebensspanne variiert stark von Tier zu Tier und reicht von nur wenigen Stunden bei der Eintagsfliege bis zu fünfhundert Jahren bei Islandmuschel. Einige primitivere Tiere wie Seeanemonen und der Süßwasserpolyp Hydra scheinen überhaupt nicht zu altern, während die langlebigste Wirbeltierart der Grönlandhai ist, der bis zu 400 Jahre alt werden kann und erst mit 150 Jahren geschlechtsreif wird. Das Altern ist jedoch nicht die einzige Strategie, die sich im Laufe der Evolution entwickelt hat, denn einige Tiere wie der pazifische Riesenkrake, männliche Ameisen oder die Männchen des kleinen Beuteltiers Antechinus agilis sterben sofort nach der Fortpflanzung. Obwohl also die meisten Organismen altern, sind die Fragen "Warum altern wir?" und "Was bestimmt den Unterschied in der Langlebigkeit zwischen den Arten?" viel weniger verstanden.

Aus evolutionärer Sicht ist das Altern ein Paradoxon. Das Altern macht uns weniger gesund, und warum sollte sich ein so schädlicher Prozess entwickeln? Die Antwort lautet: Altern entwickelt sich nicht, weil es nützlich ist, sondern als Nebeneffekt von etwas anderem [Johnson et al. 2019]. Diese Schlussfolgerung ergibt sich aus zwei populären Alterungstheorien, die bereits in den 1950er und 1960er Jahren von den Evolutionsbiologen Peter Medawar und George Williams vorgeschlagen wurden.

Die "Mutationsakkumulationstheorie" von Peter Medawar besagt, dass die Kraft der natürlichen Selektion bis zur ersten Fortpflanzung hoch bleibt [Medawar 1952]. Danach nimmt sie mit zunehmendem Alter ab. Dies hat zur Folge, dass sich schädliche Mutationen, deren Auswirkungen erst spät im Leben auftreten, anreichern, weil nicht gegen sie selektiert wird. Diese Überlegung wird auch als "Selektionsschatten" bezeichnet. Das bedeutet, dass das wichtigste Ziel eines Organismus die Fortpflanzung ist und bis dahin die natürliche Selektion für die Aufrechterhaltung der überlebenswichtigen zellulären Prozesse sorgt. Nach der Fortpflanzung besteht kein evolutionärer Druck mehr, das weitere Überleben des Organismus zu sichern. Die zellulären Prozesse nehmen ab, der Organismus altert und stirbt schließlich.

Die Theorie der "antagonistischen Pleiotropie" von George Williams besagt, dass die natürliche Selektion Genvarianten mit vorteilhaften Effekten früh im Leben fördern kann, auch wenn dieselben Varianten später schädliche Effekte haben [Williams 1957]. Da die schädlichen Effekte dieser Gene erst im Alter nach der Fortpflanzungsphase auftreten, haben sie wenig evolutionären Einfluss. Die Natur kann nicht direkt gegen ein Gen oder dessen Mutation selektieren, das den Tod eines Individuums im Alter verursacht, wenn seine schädlichen Auswirkungen nicht vor dem Ende der Fortpflanzungsphase auftreten.

Eine weitere Schlussfolgerung, die aus diesen Theorien abgeleitet werden kann, ist, dass erwartet wird, dass sich die individuelle Alterungsrate eines Organismus in Übereinstimmung mit dem Grad der äußeren Bedrohung entwickelt. Das heißt, je wahrscheinlicher es ist, dass ein Tier durch Raubtiere oder Nahrungsmangel stirbt, desto geringer ist in der Regel seine Lebenserwartung. Tiere, die Strategien zur Vermeidung von Gefahren entwickelt haben, sind in der Regel langlebiger. So sind z.B. Vögel und Fledermäuse, die einer Gefahrensituation durch Fliegen entkommen können, oft langlebig, andere Strategien sind soziale Organisation oder Schutz durch Gift oder Panzerung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Altern nur als Nebeneffekt auftritt und somit kein geplanter Entwicklungsprozess ist, d.h. es haben sich keine Gene entwickelt, die Schaden und Tod verursachen. Dies könnte auch erklären, warum es sich um einen so variablen Prozess innerhalb und zwischen verschiedenen Individuen handelt.

Bild von David Willemsen (Erstautor) und Dario Valenzano (Hauptautor).
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Quellenangaben:

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